Zeiterfassung für alle Arbeitnehmer – Gibt es noch Gestaltungsspielräume für Arbeitgeber?

Veröffentlicht am 21.12.2022
article image Quelle: Pixabay

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes vom 13. September 2022 wurde nach Veröffentlichung der Pressemitteilung von vielen als Paukenschlag bezeichnet. Nun liegt die vollständige Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 13. September 2022 – 1 ABR 22/21 – vor. Danach ist jeder Arbeitgeber verpflichtet, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit seiner Arbeitnehmer zu erfassen.

Für welche Arbeitnehmer gilt die Arbeitszeiterfassungspflicht?
Die Pflicht zur Zeiterfassung gilt für alle Arbeitnehmer, insbesondere auch für leitende Angestellte. Die Ausnahme für leitende Angestellte aus § 18 Abs. 1 ArbZG gilt für die Zeiterfassungspflicht nicht, denn diese resultiert, so das Bundesarbeitsgericht, aus § 3 ArbSchG. Das Arbeitsschutzgesetz enthält jedoch keine Ausnahmebeschränkung und gilt daher auch für leitende Angestellte.

In welcher Form muss die Arbeitszeit erfasst werden?
Derzeit haben – mangels gesetzlicher Regelungen – Arbeitgeber hierzu einen weiten Entscheidungsspielraum. Nach dem Bundesarbeitsgericht sind insbesondere die Größe des Unternehmens und die Tätigkeitsbereiche der Arbeitnehmer zu berücksichtigen. Deshalb muss die Aufzeichnung nicht zwingend elektronisch erfolgen, sondern es kann auch die Aufzeichnung in Papierform genügen. Allerdings muss die Aufzeichnung objektiv, zugänglich und vor allem zuverlässig sein. Insbesondere das Kriterium der „Zuverlässigkeit“ spielt hier eine besondere Rolle und erfordert sicherlich ein System, welches nicht ohne weiteres manipulierbar ist. Wählt der Arbeitgeber somit eine Aufzeichnung in Papierform, sollte er zumindest die Mitarbeiter verpflichten, die Zeiten wahrheitsgemäß aufzuzeichnen.

Insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen könnte es also – vorbehaltlich einer zu erwartenden gesetzlichen Regelung – zunächst einmal genügen, die Arbeitszeiten in Papierform zu erfassen. Ein aufwändiges und kostspieliges elektronisches System muss nicht zwingend angeschafft werden.

Die Zeitaufzeichnung kann der Arbeitgeber an die Mitarbeiter delegieren. Das heißt konkret, dass es in vielen Fällen genügen wird, die Mitarbeiter zu verpflichten, ihre tägliche Arbeitszeit auf einem Papier oder z.B. in einer Excel-Tabelle einzutragen – soweit und solange keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dies nicht zuverlässig wäre.

In jedem Fall gilt aber – auch für Unternehmen, die bereits ein Zeiterfassungssystem haben –  dass konkret Anfang und Ende der täglichen Arbeitszeit und der Pausen erfasst werden.

Offen bleibt in der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes, ob der Arbeitgeber auch die Aufbewahrung der Aufzeichnungen an die Mitarbeiter delegieren kann. Schon vor dem Hintergrund, dass der Arbeitgeber bei einer behördlichen Prüfung zur Vorlage der Nachweise verpflichtet ist, sollte sich der Arbeitgeber die Aufzeichnungen in festgelegten zeitlichen Abständen, soweit sie nicht ohnehin elektronisch erfolgen, vorlegen lassen.

Zudem sind Arbeitgeber gut beraten, die Zeitaufzeichnungen im Hinblick auf die Einhaltung der Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes, jedenfalls in Stichproben, zu überprüfen und, soweit das Arbeitszeitgesetz nicht eingehalten wird, einzuschreiten. Die Missachtung des Arbeitszeitgesetzes stellt nämlich eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einem Bußgeld geahndet werden kann. Ferner sollten Arbeitgeber darauf achten, mit den Arbeitnehmern wirksame Regelungen bezüglich der Anordnung von Überstunden und der Abgeltung von Überstunden in den Arbeitsverträgen zu treffen.

Hier ergibt sich insbesondere für die Unternehmen der Veranstaltungsbranche verstärkt die Notwendigkeit, die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes sicherzustellen und dies immer wieder zu prüfen, denn durch die Pflicht zur Zeiterfassung werden etwaige Verstöße nun noch deutlicher sichtbar. Sollte aufgrund des Ablaufs von Veranstaltungen, Kongressen und Messen die Einhaltung z.B. der Höchstarbeitszeiten nicht immer möglich sein, sollte spätestens jetzt geprüft werden, ob Ausnahmeregelungen auf Basis einer tariflichen Regelung gemäß § 7 ArbZG (z.B. Verlängerung der Höchstarbeitszeit wegen Bereitschaftsdienstzeiten, Veränderung der Pausenzeiten, Verkürzung der Ruhezeiten) vereinbart werden können oder, ob durch eine Änderung der Einteilung der Arbeitnehmer, z.B. durch eine verstärkte Einführung von Schichtarbeit, die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes sichergestellt werden kann. Von besonderer Bedeutung ist mit Blick auf die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung und zur Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes, dass die Arbeitnehmer konsequent Pausenzeiten, die z.B. dadurch ergeben, dass der Arbeitnehmer morgens den Aufbau einer Veranstaltung betreut und dann gegen Abend nochmals erscheint, um die Technik während der Veranstaltung zu steuern, erfassen und, dass der Arbeitgeber auch ausdrücklich Pausen anordnet, denn bei diesen handelt es sich nicht um Arbeitszeit. Als quasi letzte Möglichkeit kann auch mit der jeweils zuständigen Aufsichtsbehörde Kontakt aufgenommen werden, um abzustimmen, ob diese eine Ausnahmebewilligung gemäß § 15 Abs. 2 ArbZG für Abweichungen vom Arbeitszeitgesetz erteilen würde, wobei dies wirklich nur als „allerletzte“ Option in Erwägung gezogen werden sollte, da die Ausnahmebewilligung auf dringend im öffentlichen Interesse notwendige Fälle beschränkt ist.

Durch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes ist sowohl bei Arbeitnehmern, möglicher Weise aber auch bei den Behörden, die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes wieder verstärkt ins Blickfeld gerückt, so dass Arbeitgeber hier besonders darauf achten sollten, sich compliant zu verhalten.

Hat der Betriebsrat mitzubestimmen?
Hinsichtlich der Frage, ob ein Arbeitszeiterfassungssystem eingeführt werden soll, hat der Betriebsrat weder ein Initiativ- noch ein sonstiges Mitspracherecht, da Arbeitgeber ohnehin gesetzlich verpflichtet sind, ein solches einzuführen. Hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung, also des „wie“, hat der Betriebsrat jedoch mitzubestimmen. Besteht ein Betriebsrat im Betrieb, ist deshalb die Art und Weise der Zeiterfassung in einer Betriebsvereinbarung zu regeln.

Ausblick
Das Bundesarbeitsgericht hat deutlich gemacht, dass der Gesetzgeber zukünftig konkrete Regeln dazu treffen sollte, wie genau die Arbeitszeit zu erfassen ist. Solange dies jedoch nicht geschehen ist, enthält die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts wichtige Leitlinien für die Arbeitszeiterfassung. Mangels Tätigwerden des Gesetzgebers müssen es Arbeitgeber derzeit hinnehmen, dass die Arbeitszeiterfassung lückenlos für alle Arbeitnehmer zu erfolgen hat.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat bereits angekündigt, im ersten Quartal 2023 einen Entwurf für die Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung im Arbeitszeitgesetz zu veröffentlichen. Insoweit stellt sich selbstverständlich die Frage, ob Arbeitgeber bestimmter Branchen, in denen bereits aufgrund der betrieblichen Abläufe, wie in der Veranstaltungsbranche, Besonderheiten hinsichtlich der Arbeitszeit gelten, noch versuchen können, Einfluss auf die beabsichtigten Neuregelungen durch den Gesetzgeber nehmen wollen und können, denn das in der derzeitigen Fassung vorliegende Arbeitszeitgesetz zeigt, dass in der Vergangenheit solche Ausnahme durchaus berücksichtigt wurden (siehe z.B. § 5 Abs. 2 ArbZG)

 


Dr. Annette Sättele, Fachanwältin für Arbeitsrecht, ist ab dem kommenden Jahr neue EVVC-Kooperationsanwältin und berät als Partnerin von Rittershaus Rechtsanwälte Steuerberater mbB überwiegend Arbeitgeber im gesamten Arbeitsrecht, insbesondere im Betriebsverfassungs- und Tarifrecht. Ein weiterer Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die arbeitsrechtliche Begleitung und Gestaltung von Umstrukturierungen und Unternehmenskäufen auch aus der Insolvenz sowie von Personalabbaumaßnahmen, ebenso wie die Gestaltung individual- und kollektivrechtlicher Regelungen zu Vergütungen, Incentivierungen von Arbeitnehmern und Angeboten zur Flexibilisierung von Arbeitsbedingungen. Darüber hinaus berät sie zu dienstvertraglichen Regelungen für Vorstände und Geschäftsführer. Ferner ist Annette Sättele als Referentin bei Inhouse-Schulungen zu sämtlichen Fragen aus dem Bereich Human Resources tätig.

Rittershaus hat sich mit über 90 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten sowie Steuerberatern an den Standorten Frankfurt/Main, Mannheim und München auf die Beratung von international agierenden mittelständischen Unternehmen spezialisiert. Der Schwerpunkt der 1969 gegründeten Wirtschaftskanzlei liegt im Gesellschaftsrecht mit besonderer Ausrichtung auf Umstrukturierungen, M&A-, Private-Equity- und Venture-Capital-Transaktionen, ferner auf Unternehmensfinanzierungen sowie Unternehmens- und Vermögensnachfolge. Weitere Tätigkeitsschwerpunkte sind Arbeitsrecht, Gewerblicher Rechtsschutz, Öffentliches Recht, Bank- und Kapitalmarktrecht und IT-Recht sowie Immobilienrecht. Zudem ist RITTERSHAUS über Legalink in ein globales Netzwerk mit Kanzleien auf fünf Kontinenten eingebunden und betreut Mandate weltweit grenzüberschreitend. Die Praxisgruppe Arbeitsrecht besteht aus 10 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, die an allen drei Standorten, überwiegend Arbeitgeber in allen Fragen des Arbeitsrechts und den damit zusammenhängenden Rechtsgebieten beraten. Ein Schwerpunkt liegt dabei in der gerichtlichen Vertretung und der Beratung im kollektiven Arbeitsrecht.

Unsere Website verwendet Cookies um bestimmte Funktionen bestmöglich darstellen zu können. Indem Sie fortfahren, stimmen Sie dieser Verwendung zu. Sofern Sie die anonymisierte Aufzeichnung von Daten über die Benutzung dieser Webseite durch Google Analytics nicht wünschen, klicken Sie bitte rechts auf den Button "Nur notwendige akzeptieren". Für weitere Informationen lesen Sie bitte die Datenschutzbestimmungen.