Ein Zwischenruf aus der Ehrenloge von Joachim König

Veröffentlicht am 29.04.2020
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EVVC Ehrenpräsident Joachim König

Ich gebe gerne zu, meine aktuelle Stimmung schwankt im Angesicht der Krise, wie bei fast allen Menschen, zwischen Sprach- und auch einer gewissen Hilflosigkeit. Und zwar sowohl persönlich wie auch beruflich. Dies ist umso verstörender, da man bisher im etwas fortgeschrittenen Alter der Illusion anhängen durfte, auf eine ausreichend lange Erfahrung zurückgreifen zu können, die einem hilft, schwierige Situationen besser und gelassener in den Griff zu bekommen. Wenn das Alter schon für sonst nichts gut ist! Diese Illusion ist nun seit ein paar Wochen auf den Kopf gestellt bzw. ausgelöscht.

Fast nichts von dem, was wir seit Ausbruch der Pandemie erleben, kann mit der Erfahrung eines Menschenlebens nachvollzogen werden. Es ist in dieser Form wahrhaftig ein Jahrhundertereignis (hoffentlich!).

Wir erleben einen extremen Stresstest nahezu aller Systeme, Strukturen, Denkprozesse, Handlungsmaximen und Reflexe. Häufig an der Grenze zum Zusammenbruch und darüber hinaus. Besonders bitter hierbei: Viele erleben, so sie denn zu einer gewissen Selbstkritik fähig sind, die gnadenlose Offenlegung von Defiziten, nicht funktionsfähigen grundsätzlichen Organisationstrukturen und unerledigten Aufgaben innerhalb ihrer jeweiligen Branchen.

Dies gilt, aus meiner Sicht, leider auch für unsere Veranstaltungswirtschaft. Wir haben es alle gemeinsam über Jahrzehnte versäumt, die Bedeutung und Wahrnehmung unserer, zugegebenermaßen sehr heterogenen und zergliederten, Live-Event Branche so zu beschreiben, zu erklären und zu kommunizieren, wie es jetzt zwingend und entscheidend notwendig wäre.

Wir sind gewissermaßen bereits heute ein nachhaltiger Kollateralschaden der Pandemie. Veranstaltungen jeder Form werden als absolut kontraproduktiv zur Bewältigung des Problems angesehen und müssen deswegen komplett aussetzen. Genau deshalb wurden wir sofort von hundert auf null heruntergefahren - so, wie andere auch. Aber von denen hört man, laut und vernehmlich, regelmäßig und auf allen Sendern. Zu Recht! Denn sie sind natürlich genauso betroffen und, was wichtiger ist, sie haben Zahlen und Botschaften, die das Drama beschreiben.

Und zwar insgesamt und nicht für jede Ecke ein bisschen.

Hier waren wir, trotz einiger hoffnungsvoller Versuche, nie auf Augenhöhe. Und wir werden jetzt erneut erleben, dass die „Hallenfuzzies, Halligalli-, Party- und Ausstellungsmacher“ genauso wenig ernst genommen werden, wie früher und sich wieder einmal hinten in der Schlange anstellen dürfen.

Aber die Auswirkungen dürften andere sein. Denn kein Bereich wird diesmal alleine oder einfach so wieder auf die Beine kommen. Und je weniger wichtig, oder neudeutsch systemrelevant, man wahrgenommen wird, umso geringer werden die Unterstützungsmaßnahmen ausfallen.

Gleichzeitig gilt die Veranstaltungsbranche als ein wesentlicher Katalysator der Pandemie. Je weniger Menschen schließlich zusammenkommen, umso wahrscheinlicher ist es, dass die Infektionskurve weiterhin abflacht. Somit werden wir in jedem Fall gesamtgesellschaftlich als Teil des Problems und nicht als Teil der Lösung gesehen. Das heißt, unser Bereich wird erst wieder aktiviert und näher betrachtet werden, wenn alles andere läuft und geklärt ist.

Kindergärten, Schulen und Universitäten sind, natürlich ebenfalls völlig zu Recht, absolut systemrelevant. Die „Halligalli-Veranstaltung“ oder jedwede sonstige Zusammenkunft aber doch wohl eher nicht, oder?

Diesem Standpunkt müssen wir jetzt sehr schnell, und zur Abwechslung vorzugsweise einmal einstimmig, unsere Geschichte entgegensetzen.

So, wie es sich für eine echte Interessenvertretung gehört: Wahrnehmbar, öffentlichkeitswirksam und auch mit einer gewissen Lautstärke. Sonst werden die Unterstützungsmaßnahmen, die uns zuteilwerden, die schwachbrüstigsten von Allen sein. Sozusagen Küchensieb anstatt Rettungsschirm.

Rein sachlich betrachtet ist das eigentlich auch eine lösbare Aufgabe. Es müssten nur endlich einmal ein paar alteingeübte Reflexe, egozentrische Betrachtungsweisen und Egoismen sowie eher kleinkarierte Selbstdarstellungen über Bord geworfen werden. Das Problem war und ist die Ebene außerhalb der Sachlichkeit.

Live-Events, egal ob aus dem Bereich Entertainment, Marketing oder Business, sind seit Urzeiten die Hefe in jeder gesellschaftlichen Entwicklung. Von der Messe bis zum Seminar. Von der Ballermann-Party bis zur Hochkultur oder dem Kirchentag. Sie sind das evolutionäre Erfolgskonzept des Menschen. Mit Gemeinsinn, gemeinsam, kooperativ, kreativ und im Diskurs Fortschritt zu entwickeln und zu gestalten, und dies dann auch zu feiern, ist unsere Erfolgsgeschichte und der Grund, warum wir Menschen die Welt so fest im Griff haben. Ob man das nun gut findet oder nicht. Aber das ist eine andere Geschichte, die offensichtlich gerade von der Corona-Pandemie, mindestens zeitweise, verschluckt wird. Dementsprechend wird auch jede gesellschaftliche und wirtschaftliche Erholung nach der Krise nicht ohne Live-Events von statten gehen können.

Dazu gehört dann aber eben auch eine Akzeptanz der Tatsache, dass Live-Events Emotionalität, Nähe, Verständnis und Empathie bedeuten. Eben das ziemlich genaue Gegenteil von Social Distancing. Digital kann und wird dabei immer nur ein, zunehmend wichtiges, komplementäres Hilfsinstrument sein. Denn man kann nun einmal niemandem über Telefon oder Video-Konferenzen wirklich in die Augen schauen, man kann ihn, im wahrsten Sinne des Wortes, nicht riechen und Körpersprache wahrnehmen. Oder, wie es so schön heißt: „You can´t e-mail a handshake“ (aber der könnte ja eventuell sowieso komplett verschwinden, oder?). Das ist unsere Geschichte.

Sie wäre noch eindrucksvoller, wenn wir es schaffen würden, wirklich einmal alle Zahlen der direkten und indirekten Wertschöpfung und den damit verbundenen Arbeits- und Ausbildungsplätzen so zusammenzutragen und zu addieren, wie es sich tatsächlich darstellt und schon längst angemessen wäre. Dann wären wir nämlich auf Augenhöhen mit anderen, aufgrund der besseren und verständlicheren Präsentation, angeblich so viel wichtigeren Wirtschaftszweigen.

Am Ende muss es uns gelingen, deutlich zu machen, dass es für die deutsche Wirtschaft essentiell wichtig ist, ein Konzept zu entwickeln und massiv zu unterstützen, das das gesamte Geschäft der Live- Events so schnell wie irgend möglich wieder hochfährt. Und zwar verantwortungsvoll und unter Würdigung des Primats der Gesundheit und der Eindämmung der Pandemie.

Es darf nicht heißen: „Dann gibt es eben noch ein paar Wochen länger keine Veranstaltungen mehr.“ Es heißt ja auch nicht: „Dann gibt es eben noch ein paar Wochen länger keine Autoproduktion mehr.“ Es muss heißen: „Wie können wir es schaffen, dass es in ein paar Wochen wieder Veranstaltungen gibt, und was können wir dafür tun, dass es vielleicht noch ein wenig schneller geht.“ Am liebsten noch mit der Ergänzung: „Whatever it takes“. Diesem Ziel sind andere Bereiche, meiner Einschätzung nach, wieder einmal ein ganzes Stück näher, als wir.

Ist all dies ein wenig zu viel verlangt? Vielleicht. Es war, zugegebenermaßen, noch nie ein besonders hilfreicher Ansatz, durch rund ein Dutzend Verbände, immer mit besonderem Blick auf die jeweiligen Partikularinteressen, eine Gesamtbranche zu beschreiben und darzustellen. Aber runter kommt man ganz von alleine ganz schnell, wie wir alle gerade erleben müssen. Und vielleicht ist genau jetzt, mit der absoluten Vollkatastrophe, auch eine einmalige Chance vorhanden, bisher nicht Erreichtes zu schaffen.

Und natürlich ist es viel einfacher, solche Wünsche und Forderungen aus der Ehrenloge zu verkünden und herumzunörgeln, als sie konzeptionell, strategisch und politisch umzusetzen. Aber hey, immerhin ein Privileg des Alters. Denn das mit den Dingen im Griff haben… siehe oben.

Mit den besten Grüßen aus dem Home-Office (ich hasse es!)

Joachim König

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