Rechtliche Stellungnahme zu Entschädigungsansprüchen durch „Lockdown“

Veröffentlicht am 09.06.2020
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EVVC Kooperationsanwalt Volker Löhr

Entschädigung für Betriebsschließungen und Veranstaltungsverbote nach IfSG

Ein Beitrag von Rechtsanwalt Volker Löhr l kanzleiLoehr


Aktuell rufen im Internet mehrere Anwaltskanzleien dazu auf, sich „Sammelklagen“ gegen Kommunen und einzelne Bundesländer anzuschließen. Für Veranstalter und Betreiber von Versammlungsstätten, geht es in diesem Kontext um mögliche Entschädigungsansprüche infolge von Betriebsschließungen und angeordneter Veranstaltungsverbote.

Hierzu lohnt sich ein kurzer aber durchaus kritischer Blick auf die in der rechtlichen Diskussion stehenden Grundlagen und aktuellen Entwicklungen.

Entschädigungsansprüche nach dem IfSG

Davon ausgehend, dass die aktuellen Corona-Verordnungen der Landesregierungen grundsätzlich rechtmäßig sind, kommen - auf den ersten Blick - Entschädigungsansprüche wegen behördlich verordneter Schließungen und Veranstaltungsverbote nach den  Vorschriften des  Infektionsschutzgesetz (IfSG) durchaus in Frage. Steigt man hierzu etwas tiefer in die Rechtsmaterie ein, ergeben sich allerdings erhebliche Zweifel an den Erfolgsaussichten der meisten Fälle.

Entschädigungsansprüche nach § 65 IfSG

Für Maßnahmen auf Grundlage der Generalklausel des § 16 IfSG enthält § 65 IfSG eine Entschädigungspflicht für den Fall der Verursachung eines „nicht nur unwesentlichen Vermögensnachteils“.
 

§ 65 Entschädigung bei behördlichen Maßnahmen

(1) Soweit auf Grund einer Maßnahme nach den §§ 16 und 17 Gegenstände vernichtet, beschädigt oder in sonstiger Weise in ihrem Wert gemindert werden oder ein anderer nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteil verursacht wird, ist eine Entschädigung in Geld zu leisten; …


Obwohl § 65 IfSG damit die gewünschte Rechtsfolge (Entschädigung) enthält, ist seine Anwendbarkeit auf die in Rede stehenden Maßnahmen problematisch. Die erlassenen Rechtsverordnungen der Länder stellen nicht auf § 16, sondern auf § 28 Abs. 1 i. V. m. § 32 des IfSG als Rechtsgrundlage ab. Während die §§ 16 ff. IfSG den Behörden zur Verhütung übertragbarer Krankheiten gewisse Befugnisse einräumen, dient § 28 IfSG seiner Systematik nach der Bekämpfung solcher Krankheiten.

Ob diese rechtliche Einordnung durch den jeweiligen Landesgesetzgeber richtig vorgenommen wurde, werden in einem Streitfall  Gerichte zu entscheiden haben. Bisher wurde die Einschätzung, dass die Verordnungen zur Bekämpfung der Covid-19 Pandemie erlassen wurde, von den Rechtsprechung aufrechterhalten. Daher ist es unwahrscheinlich, dass in Zukunft Ansprüche nach § 65 InfSchG zuerkannt werden.


Entschädigungsansprüche nach § 56 IfSG

Für Maßnahmen auf Grundlage des § 28 (Bekämpfung) sieht das IfSG seiner Systematik nach nur eine Entschädigung unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 56 vor. Dort enthalten sind zwar Regelungen, wonach Personen, denen nach dem Gesetz verboten ist, ihrer Erwerbstätigkeit nachzugehen und die deshalb einen Verdienstausfall erleiden, ein Verdienstausfall zusteht (§ 56 Abs. 1 IfSG). Vermögensnachteile infolge von Betriebsschließungen erfasst der Wortlaut des § 56 IfSG jedoch gerade nicht und schließt damit die große Gruppe der Gewerbetreibenden von einer Entschädigung aus.

In der bisher einzigen Entscheidung zu dieser Thematik sah das LG Heilbronn keine Rechtsgrundlage im IfSG für eine Entschädigung. Weder sei § 56 IfSG analog anzuwenden (es fehle angesichts der staatlichen Hilfsprogramme das zwingende Erfordernis für eine Rechtsfortbildung) noch sei das Landespolizeigesetz anwendbar (weil das IfSG abschließend sei). Auch ein enteignender oder enteignungsgleicher Eingriff komme nicht in Frage, weil dieser das Eigentum schütze und nicht die geltend gemachten Erwerbs- und Gewinnaussichten.

Hans-Jürgen Papier, Ex-Präsident des Bundesverfassungsgerichts, hält die Lücken des IfSG bei den Entschädigungen zwar für verfassungswidrig. Er sieht jedoch eher die Politik in der Pflicht als die Gerichte. "Hier hat der Gesetzgeber nachzubessern", sagte er in einem Interview, "Hilfsprogramme ohne Rechtsanspruch genügen nicht."

Der Gesetzgeber bewegt sich derweil in eine andere Richtung. Ende März 2020  wurde eine zusätzliche Entschädigungsregelung in § 56 Abs. 1a) IfSG eingeführt. Anspruch auf Entschädigung in Höhe von 67 Prozent des Verdienstausfalls haben nun auch Eltern, die zu Hause bleiben müssen, weil der Staat Kitas und Schulen geschlossen hat. Entsprechende Regelungen für sonstige Betriebsschließungen wurden vom Gesetzgeber wohl kaum übersehen, sondern bislang bewusst nicht getroffen.
 

§ 56 Entschädigung

(1) Wer auf Grund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsver-dächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet, erhält eine Entschädigung in Geld. Das Gleiche gilt für Personen, die als Ausscheider, Ansteckungsverdächtige oder Krankheitsverdächtige abgesondert wurden oder werden, bei Ausscheidern jedoch nur, wenn sie andere Schutzmaßnahmen nicht befolgen können. Eine Entschädigung nach den Sätzen 1 und 2 erhält nicht, wer durch Inanspruchnahme einer Schutzimpfung oder anderen Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die gesetzlich vorgeschrieben ist oder im Bereich des gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Betroffenen öffentlich empfohlen wurde, ein Verbot in der Ausübung seiner bisherigen Tätigkeit oder eine Absonderung hätte vermeiden können.

 

1a) Werden Einrichtungen zur Betreuung von Kindern oder Schulen von der zuständigen Behörde zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen oder übertragbaren Krankheiten auf Grund dieses Gesetzes vorübergehend geschlossen oder deren Betreten untersagt und müssen erwerbstätige Sorgeberechtigte von Kindern, die das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder behindert und auf Hilfe angewiesen sind, in diesem Zeitraum die Kinder selbst betreuen, weil sie keine anderweitige zumutbare Betreuungsmöglichkeit sicherstellen können, und erleiden sie dadurch einen Verdienstausfall, erhalten sie eine Entschädigung in Geld. …


Es ist nicht zu erwarten, dass der Gesetzgeber im Zuge der COVID-19 Pandemie Entschädigungsansprüche für betroffene Unternehmen und Gewerbetreibende zusätzlich in das IfSG einfügen wird. Die Politik hat sich für eine Entschädigung im Rahmen der vom Staat gestalteten Hilfsprogramme entschieden. Der Bund und die Länder legen in Milliardenhöhe branchenspezifische Hilfsprogramme auf und möchten augenscheinlich selber entscheiden, ob und wem in welcher Höhe Entschädigungsleistungen zustehen.

Wer dies anders sieht, dem bliebe derzeit wohl nur die -  aus unserer Sicht -  geringe zusätzliche Hoffnung, einer sich neu orientierenden Rechtsprechung, die dann wiederum den Gesetzgeber zum Tätigwerden herausfordern würde.

Der Zeitdruck für betroffene Unternehmen, die Ihre Chancen auf dem Rechtsweg wahren wollen, hat sich jedenfalls bereits etwas entspannt. Bisher mussten alle auf § 56 IfSG gestützte Entschädigungsanträge binnen drei Monaten gestellt werden. Nach einer Änderung des § 56 Abs. 11 IfSG im vergangenen Monat (Mai 2020) werden nun zwölf Monate zugestanden. Sollten Gerichte entgegen unserer Einschätzung eine „analoge Anwendung“ von § 56 IfSG auf Entschädigungen für Betriebsschließungen anerkennen, würde dies auch für die Anwendung der verlängerten Frist gelten müssen. Aus unserer Sicht ist also keine besondere Eile geboten, sich unmittelbar einer Klage anzuschließen.

 

Beobachten Sie die weitere Entwicklung und bleiben Sie „RECHT INFORMIERT“!

Rechtsanwalt Volker Löhr

kanzleiLoehr
www.kanzleiloehr.de

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