Die Veranstaltungsbranche ist es gewohnt, dass sie bei den Corona-Gipfeln bestenfalls am Rande erwähnt wird. Nun sind Veranstaltungen in dem Beschluss von Dienstag zwar ausdrücklich erwähnt worden – eine Perspektive finden Kulturveranstalter:innen darin allerdings nicht. „Nach wie vor werden Veranstaltungen völlig undifferenziert als ‚Superspreading Events‘ behandelt“, kommentiert Prof. Jens Michow, Präsident des Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft. „Einschränkungen der Teilnehmer:innenzahlen sollen weiter möglich bleiben und für Veranstaltungen mit mehr als 5.000 Besucher:innen ist das nun sogar zwingend festgelegt“. Die zulässige Auslastung darf bei solchen Großveranstaltungen maximal bei 50 % der jeweiligen Höchstkapazität liegen und ist auf maximal 25.000 Zuschauende begrenzt.
Die Regelung, dass nicht Geimpfte für den Besuch von Veranstaltungen zwingend ein negatives Testergebnis vorlegen müssten, ändere, wie Michow berichtet, nichts an der aktuellen Situation. Auch bisher waren die Veranstalter:innen aufgrund der mit den Behörden abgestimmten Hygienekonzepte verpflichtet, sich von nicht Geimpften einen Negativtest vorlegen zu lassen. „Solange die Kapazitätsbeschränkungen nicht fallen, macht Veranstalten wirtschaftlich keinen Sinn. Veranstaltungen mit Kapazitätsreduktionen sind bestenfalls Beschäftigungsmaßnahmen für Künstler:innen, Mitarbeiter:innnen der Veranstaltungsunternehmen und die vielen Solo-Selbständigen, die mit der Durchführung von Veranstaltungen ihr Geld verdienen. Wirtschaftlich können sie nicht sein.“ Zwar sehe der Beschluss Kapazitätsbeschränkungen zwingend nur für Veranstaltungen ab 5.000 Personen vor, dass die Länder auf entsprechende Beschränkungen bei kleineren Veranstaltungen zukünftig verzichten werden, hält Michow jedoch für unwahrscheinlich. Selbst wenn es in einigen Regionen Ausnahmen gäbe, wie es in Baden-Württemberg soeben beschlossen wurde (dort sollen ab Montag Veranstaltungen für die 3G ohne Einschränkungen ermöglicht werden), würden Tourneen nicht durchführbar sein, solange es in jedem Land unterschiedliche Anordnungen gibt. „Es bleibt nur zu hoffen, dass auch für kleinere Veranstaltungen – wie bei den Großveranstaltungen – zumindest überall eine Auslastung von 50 % gestattet wird. Auch wenn dies die aktuelle Situation verbessern würde (derzeit ist die Nutzung von Hallen häufig auf 25 % Auslastung beschränkt) wäre dies aber keineswegs eine grundsätzlich befriedigende Lösung. Denn auch eine Einnahmechance von 50 % macht bei Kosten von 100 % wirtschaftlich kaum Sinn. Unsere Dienstleister:innen werden deshalb nicht auf 50 % ihrer üblichen Vergütung verzichten“.
Den aktuellen Beschlüssen der Regierungschef:innen und der Bundeskanzlerin können die Veranstalter:innen daher ein weiteres Mal nicht den Funken einer Perspektive entnehmen. „Wenn man wünscht, dass unsere Branche nicht die letzte Hoffnung verliert, dass es für sie noch eine Zukunft geben könnte, müssen wir erwarten, dass die Länder endlich bei allen Veranstaltungsgrößen auf Abstandsregeln verzichten“, fordert Michow. Die Politik würde damit endlich einem Vorschlag folgen, den das Forum Veranstaltungswirtschaft, die Allianz maßgeblicher Verbände des Wirtschaftszweigs, mit der ‚Matrix Restart‘ bereits im Januar aufgestellt hat. Die Wirtschaftsverbände haben darin ausführlich dargestellt, dass und unter welchen Bedingungen die Branche imstande wäre, bei niedrigen Inzidenzzahlen für die „3G“ – also auch für negative Getestete – Veranstaltungsräume auch ohne Abstandsregeln infektionssicher zu gestalten. Diese Forderung wurde bisher sowohl vom Bund, als auch von den Ländern kategorisch mit der Begründung abgelehnt, dass Antigen-Tests keine hinreichende Gewähr dafür bieten, dass von den Getesteten nicht doch eine Infektionsgefahr ausgeht.
Für den Verbandspräsidenten und Branchenexperten Prof. Jens Michow drängt sich nun allerdings eine Frage auf: Wenn die Gefahr, dass negativ Getestete dennoch das Virus verbreiten, groß ist und daher Abstandsregeln zwingend erforderlich sein sollen, müssten Veranstaltungen ohne Kapazitätsreduktionen doch zumindest mit Geimpften und Genesenen stattfinden dürfen. „Es wird doch immer Geimpfte und Genesene einerseits und andererseits Menschen geben, die entweder aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden dürfen oder eine Impfung verweigern. Und dass das Virus uns nicht irgendwann wie durch ein Wunder verlassen wird, dürfte doch allen längst ebenso wie die offenbare Tatsache bekannt sein, dass auch Geimpfte sich infizieren können oder sogar eine Infektion weiterübertragen können. Da sich diese Faktenlage zukünftig definitiv nicht ändern wird, erwarte ich von der Politik die Antwort darauf, was noch geschehen muss, damit wir zumindest für diese Personengruppe wieder Veranstaltungen ohne Einschränkungen durchführen dürfen.“ Aus Sicht des Juristen sei die Aufrechterhaltung der aktuellen Grundrechtseinschränkungen auch für Geimpfte und Genesene verfassungsrechtlich ohnehin zunehmend angreifbar.
Veranstaltungen nur für die 2G seien für die Branche alles andere als wünschenswert. Schließlich würde man auf der Grundlage der aktuellen Durchimpfung derzeit noch auf 50 % seines Publikums verzichten müssen. „Aber welche Alternative haben wir denn noch?“ fragt Michow. „Ich will vor allem endlich wissen, wie sich die Politik zu diesem Vorschlag verhält. Langsam habe ich nämlich den Eindruck, dass es ‚normale Veranstaltungen‘ überhaupt nicht mehr geben soll. Alle, die das nun kritisieren, müssen verstehen, dass sich unsere Lebensumstände durch Corona geändert haben. Da unser Leben aber trotzdem weitergehen muss, sollten die Kritiker:innen meiner Fragestellung verstehen, dass wir uns alle entweder diesen geänderten Lebensumständen anpassen oder anderenfalls dann auch Kompromisse bis hin zu Nachteilen hinnehmen müssen. Ich fordere definitiv keine Impflicht, aber ich hoffe auf den Realitätssinn der nicht Geimpften!“ Eine ‚Sippenhaft‘ der Geimpften und Genesenen könnten Impfverweigernde nicht erwarten.